Pardo alla carriera für Fredi M. Murer
20 Filme, nahezu 60 Jahre Karriere; ein bedeutsames Werk, das die verschiedenen Phasen der Erneuerung unseres Kinos prägte und oft vorwegnahm. Im Zürich der 60er-Jahre fing er an. Und seit er sich dem Kino widmet, ist Fredi M. Murer ein bescheidener, bemerkenswerter und engagierter Mensch fernab vom Medienrummel und dem Diktat der Kinokasse geblieben.
Seine ersten Arbeiten waren Porträtfilme, unkonventionell und anarchisch, mit denen er das Kino nicht als Medium, sondern als Notwendigkeit des Ausdrucks entdeckte. Dann drehte er Wir Bergler in den Bergen sind eigentlich nicht schuld, dass wir da sind (1974), einen Film, der mit den klassischen Schemata des Dokumentarfilms bricht und die Klischees des Schweizer Kinos der Vorkriegszeit – Berge und Hirten als Erben ontologischer Gewissheiten – auslöscht.
Mit Grauzone (1979) wandte er sich der «Fiktion» zu, die mit einer eindringlichen Technik – durch die das Leben zum Film und der Regisseur selbst zum Abbild wird – die Realität zu durchleuchten vermag. In eine ikonografische Betrachtung versetzt er uns auch mit Höhenfeuer (1985). Es ist ein Meisterwerk, mit dem er es schafft, das Unsagbare wie in einer griechischen Tragödie mit einem ethnografischen Blick zu thematisieren. Eine Synthese seines Werks und der Themen, die das Schweizer Kino prägen: der Konflikt zwischen Vater und Sohn, die Turbulenzen der Adoleszenz, die Flucht, die Persönlichkeitsentfaltung und die Erinnerung an ein archaisches Leben.
Das Schweizer Kino der Vergangenheit mit demjenigen der Zukunft zu verbinden, eine Kontinuität zu schaffen, die dem Schweizer Publikum und seinem Kinoerlebnis bisher noch fehlte – genau diesem einen Thema widmete sich Murer in seiner letzten Schaffensperiode. Mit den Spielfilmen Vollmond (1998), einem Autorenfilm mit dem Anspruch, grosses Kino zu sein; Vitus (2006), einem Manifest für die Kindheit, das ein breites Publikum berührte sowie Jetzt oder nie (2014), einer in Fiktion verborgenen Komödie in Form eines intimen Tagebuchs.
Die subtile Grenze zwischen Realität und Künstlichkeit, jener schwebende Moment, in dem die uns umgebende Welt durch künstlerische Kreativität zu «etwas anderem» wird, ist das, was ihn interessiert.
Domenico Lucchini